Auszug der 5. Menschenrechtswoche
Die 5. Menschenrechtswoche informierte, regte zum Nachdenken an und lud zu Diskussionen ein
Die Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt lud ein zur 5. Menschenrechtswoche. Anlass war die Deklaration der Menschenrechte in Paris vor siebzig Jahren. In Vorträgen, Diskussionen, Ausstellungen brachten Professoren, Studierende und Experten verschiedene Themen zur Sprache, die die Notwendigkeit und Relevanz der Menschenrechte dokumentieren. Einer der vier Veranstaltungstage war Themenfeldern der Psychiatrie gewidmet. Der erstmals in diesem Rahmen eingebettete „Tag der Psychiatrie“ wurde, so die Veranstalter, gut besucht. Eine große Bandbreite an Themen mit Menschenrechtsbezug konnte aufgeworfen und damit der Fokus auf relevante Themen gerichtet und zugleich für drohende oder gar stattfindende Menschrechtsverletzungen sensibel gemacht werden.
Professorin Dr. Tanja Henking eröffnete diesen „Tag der Psychiatrie“ mit dem Hinweis auf die hohe Bedeutung der Beachtung der Menschenrechte in Bezug auf die Versorgung von psychisch erkrankten Menschen. Das Thema Psychiatrie und Menschenrechte stünde immer wieder in der Diskussion, so habe sich das Bundesverfassungsgericht insbesondere in den letzten Jahren mehrfach mit den Grundrechten von psychisch erkrankten Menschen innerhalb der Psychiatrie befasst, zuletzt im Sommer diesen Jahres mit einer viel diskutieren und für die Praxis höchst relevanten Entscheidung zur Fixierung von Patienten befasst. So standen am „Tag der Psychiatrie“ verschiedene aktuelle Themen im Zentrum der Diskussionen.
Die Berechtigung des Paragrafen 64 Strafgesetzbuch, der die Behandlung von Suchtkranken straffälligen Personen unter der Bedingung der zwangsweisen Unterbringung regelt, erfährt aktuell erhebliche Zweifel. Die Forderungen reichen von seiner Reform bis zu seiner gänzlichen Abschaffung.
Zu Beginn richtete Dr. Norbert Schalast in seinem Vortrag „Zum Nutzen von Zwangstherapie: die Unterbringung in der Entziehungsanstalt (§ 64 StGB)“ den Fokus auf die zentrales Spannungsverhältnis Freiheit versus Fürsorge. Seine Themen: problematische Aspekte einer offenen psychiatrischen Versorgung, destruktive Dynamiken in geschlossenen Institutionen sowie die Unterbringung in der Entziehungsanstalt nach § 64 StGB („Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.“)
Schalast berichtete von zwei realen Fällen, anhand derer er u.a. ein partnerschaftliches Vorgehen in Frage stellte, weil in diesen Fällen Aspekte der Verantwortung nicht ernst genug genommen worden wären.
Anschließend benannte er Risiken, die eine geschlossene Anstalt in sich berge und erläuterte dies anhand eines Fallbeispiels. Sodann ging er auf Straffällige mit Suchtproblemen ein. Er stellte die Ergebnisse einer groß angelegten Evaluationsstudie vor, die demnächst veröffentlicht werde: Die Ergebnisse zeigten einen deutlichen Bewährungsunterschied zwischen Patienten und Gefangenen. Aus medizin-ethischer Betrachtung könne keine Zwangstherapie für verschiedene Krankheiten und Störungen angeordnet werden. Man müsse abwägen in dem Konflikt zwischen individuellen Freiheitsrechten versus unterlassener Hilfeleistung.
Vasilija Rolfes von der Universität Düsseldorf, Institut für Geschichte und Ethik in der Medizin, befasste sich aus ethischer Perspektive mit der Stigmatisierung von psychisch erkrankten Menschen im medizinischen Kontext und problematisierte Verhaltensweisen, die einer Stigmatisierung Vorschub leisten könnten und unterbreitete Vorschläge zur Vermeidung. In ihren interaktiv gestalteten Vortrag lud sie das Publikum zum Diskutieren ein, Studierende nahmen dies mit vielen anregenden Wortbeträgen und Fragen wahr. Der Tag der Psychiatrie schloss ab mit einem Vortrag von Dr. med. Karolina Leopold, Oberärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Vivantes Klinikum, Berlin, zum Thema „Früherkennung von psychischen Erkrankungen – Soul Space: für junge Menschen in Krisen“. Themen waren zum einen die Früherkennung und Prävention von psychischen Erkrankungen besonders bei jungen Menschen und zum anderen Einblicke in ihre praktische Arbeit in den verschiedenen angegliederten Einrichtungen des Klinikums.
Zunächst hob Dr. Leopold die Bedeutung einer Früherkennung von psychischen Erkrankungen insbesondere bei jungen Leuten hervor. Bei 15 bis 25-Jährigen spielten psychische Erkrankungen eine große Rolle, da diese meist im frühen Erwachsenenalter beziehungsweise in der Adoleszenz ausbrechen und daher eine gute Prävention vielen Folgeproblemen entgegenwirken könnten. Gerade in diesem jungen Alter hätten psychische Erkrankungen einen großen Einfluss auf die Entwicklung und schränkten die Betroffenen massiv in ihrer Lebensführung/ -gestaltung ein.
Ein Problem hierbei sei, dass junge Menschen nur selten von sich aus Hilfe suchten: Nur ca. 13 Prozent der jungen Männer und 31 Prozent der jungen Frauen nähmen entsprechende Gesundheitsangebote in Anspruch. Hieraus sei die Konsequent zu ziehen, Angebote niederschwellig, vertraulich, teils auch aufsuchend, Selbstvertrauen fördernd, wirksam und nicht stigmatisierend zu gestalten.
Ziele einer Frühintervention seien die Besserung der Beschwerden und Probleme, die Vermeidung von sozialer Behinderung und die Verhinderung oder Verzögerung der ersten psychotischen Episode. Die Behandlung der Betroffenen erfolge primär mit einer KVT (kognitiven Verhaltenstherapie) und unterstützend mit Medikamenten. Dabei nahm sie Bezug auf die jüngst publizierte S3-Leitlinie „Schizophrenie“.
Des Weiteren stellte die Referentin Projekte ihres Klinikums dar. Dort werden sogenannte „stepped care“ für junge Erwachsene mit psychischen Krisen angeboten. Drei Einrichtungen stünden diesen jungen Menschen unterstützend zur Verfügung. Das „FRITZ am Urban“ biete sowohl Diagnostik, als auch Therapiemöglichkeiten. Es sei eine Schwerpunktstation und eine Früherkennungsinitiative für 15 bis 28-Jährige mit beginnenden psychotischen Erkrankungen. In der Früherkennungssprechstunde könne man mit einem Therapeuten z.B. über Symptome sprechen. Das Angebot sei unverbindlich, und der Erstkontakt könne anonym erfolgen.
Das erst 2018 eröffnete „Soul Space“ helfe jungen Menschen in unterschiedlichen Krisen. Zum Angebot gehören Gespräche zum Finden geeigneter Hilfen und zur Entlastung Betroffener. Dr. Leopold stellte klar, dass man die Behandlung von jungen Erkrankten so früh wie möglich begonnen werden sollte, um Risiken und Folgen der Erkrankung so gering wie möglich zu halten. Die von ihr vorgestellten Projekte und das große Engagement der Referenten stießen auf großes Interesse beim Publikum und eröffneten eine rege Diskussion.
Zum in Jordanien liegenden Camp Zaatari mit aktuell rund 80.000 Flüchtlingen steht die FHWS in kontinuierlichem Kontakt, vor allem mit den Studiengängen der Angewandten Sozialwissenschaften, dem Master for International Social Work with Refugees and Migrants (Auslandskooperationen). Der Mitarbeiter der Internationalen Hilfsentwicklung IRD, Mohammad Shwamra, berichtete via Skype im Rahmen der 5. Menschenrechtswoche über die “Social work in a refugee camps: Experience from the field” (Sozialarbeit in Flüchtlingslagern: Erfahrung aus der Praxis) unter Moderation von Professorin Dr. Hannah Reich.
Der Referent, der 2013 nach Ausbruch des Bürgerkrieges sein Land Syrien verlassen musste und in Jordanien in dem Flüchtlingslager Zuflucht fand, erlebte die Lebensbedingungen zu Zeiten der Gründung des Camps im Sommer 2012 und heute. Zu Beginn noch ein Leben in Zelten, ohne Sanitäranlagen, mit Wasser- und Strommangel, ohne Arbeit, Schulen oder Freizeitangeboten, habe sich die Lage heute deutlich verbessert: Die Geflüchteten lebten zu Hochzeiten mit bis zu 400.000 Personen auf 5,3 Quadratkilometern mitten in der Wüste. Inzwischen habe sich die Situation verbessert: Es gäbe Container und teilweise Strom und Wasser. Dennoch sei es kein Leben, da es verboten sei, Bäume zu pflanzen und man nicht ohne Erlaubnis das Lager verlassen könne. Sechs Jahre gäbe es dieses Camp nun schon, und es sei keine Besserung in Sicht. IRD sei eine der 42 internationalen Organisationen, die sich mit ihren Dienstleistungen wie schulischen, kulturellen, musikalischen, sportlichen Angeboten für eine Verbesserung der Situation einsetzten. Darüber organisierten sie Treffen mit den Bewohnern, Menschen, um an Konfliktlösungen innerhalb des Camps zu arbeiten und Orte für die Streitschlichtung zu finden. Sie verfolgten das Ziel, einen gewissen „Alltag“ zu ermöglichen eine Selbstständigkeit der Bewohner zu fördern und zu unterstützen.
Über Tickets und Augen-Scan-Möglichkeiten können die Camp-Bewohner nun selbst ihre Einkäufe tätigen, statt Lebensmittel – wie früher – zugeteilt zu bekommen. Eine Herausforderung stelle der Bereich der Qualifikationen dar - die Ausbildung bzw. das Studium und die Aufnahme einer regulären Berufstätigkeit.
Die innere Sicherheit innerhalb das Lagers werde zum einen vom Land Jordanien aus vorgegeben und durchgeführt, zum anderen würden Sicherheitsfragen auch von den Syrern selbst geklärt werden. Für eine ärztliche Grundversorgung sei teilweise gesorgt dank der humanitären Organisationen; schwieriger gestalte sich die psychologische Behandlung – viele Geflüchtete kämen traumatisiert ins Lager.
Einen Aspekt, der in der FHWS kaum angesprochen werde, thematisierte Dr. Claudia Krell, Deutsches Jugendinstitut München, in ihrem Vortrag „Coming-out – und dann…?! Coming-out-Verläufe und Diskriminierungserfahrungen von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans* und queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen“, an deren Studie sie beteiligt war.
In der bundesweit ersten Studie, die sich mit den Coming-out-Verläufen und Diskriminierungserfahrungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen befasst, stehen zwei Fragen im Mittelpunkt. Erstens: Wie erleben und gestalten LSBT* Jugendliche ihr inneres und äußeres Coming-out? Und zweitens: Welche Erfahrungen machen sie im Freundeskreis, in den Familien und an Bildungs- und Arbeitsorten? Die präsentierten Ergebnisse zeigen, dass LSBT*-Jugendliche unter denselben Lebensbedingungen wie alle Jugendlichen aufwachsen, sie jedoch aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlicher Identität eine höhere verletzliche Lebenssituation hätten. Sie seien sich schon in frühen Jugendjahren ihrer sexuellen Orientierung bewusst und hätten große Befürchtungen vor ihrem „äußeren“ Coming-out. Die Studie zeige, dass zu den größten Befürchtungen die Ablehnung durch Freunde und Familienmitglieder gehöre. Als die beiden häufigsten Gründe für ein Öffentlich-machen-Wollen werden genannt: Jugendlichen wollen mit jemandem über ihre Gefühle sprechen, und sie wollen sich nicht mehr verstecken oder verstellen.
Für ein erstes Coming-out werde die beste Freundin oder der beste Freund bevorzugt, weiteres Coming-outs bestünden ein Leben lang, da man z.B. mit neuen Freunden, beim Umzug oder Arbeitsplatzwechsel immer wieder vor der Frage stehe, wie man seine sexuelle Orientierung darstelle und welche Reaktionen hierauf folgten. Acht von zehn Jugendlichen gaben an, mindestens einmal aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität Diskriminierungserfahrungen erlebt zu haben. Die Bandbreite der Diskriminierungserfahrungen sei sehr groß, jede Person verarbeite diese Erfahrungen unterschiedlich.
Abschließend gab Dr. Claudia Krell den Zuhörern einige Thesen mit auf den Weg, die vor allem in der Sozialen Arbeit umgesetzt werden sollten. Digitale Medien sollten für LSBT* Jugendliche nicht nur eine Weltanschauung spiegeln, die Heterosexualität als Norm vorgebe, sondern vielmehr eine Möglichkeit eröffnen, um sich zu informieren über die Vielfalt von sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten. Diskriminierung solle in der Schule, Ausbildung, Hochschule und Arbeit abgebaut, Vielfalt aufgezeigt und gefördert werden. Fachkräfte müssten besser qualifiziert werden, um Jugendliche und die Gesellschaft zu informieren auch über neue Lebensformen. Zudem müsse sich die Politik offen zeigen für lesbische, schwule und trans* Lebensweisen und diese rechtlich heterosexuellen Partnern gleichstellen.
Dr. Ernst Engelke, ehemaliger Professor der FHWS, Verfasser zahlreicher Publikationen zur Sozialen Arbeit und Sterbeforschung, referierte zum Thema „Alt und gepflegt werden – ein Menschenrecht“. Alt und gepflegt zu werden, stelle eine Herausforderung dar, denn die Pflege stehe in einem negativen Licht. Obwohl es kein Menschenrecht auf gute Pflege oder alt zu sein gäbe, würden die Menschenrechte von alten, pflegebedürftigen im Artikel 2 der Menschenrechtskonvention sowie in den Artikeln 1ff. des Grundgesetzes miteingeschlossen.
Dr. Engelke nannte einige Aspekte, die im Umgang mit alten Menschen von großer Bedeutung seien. Daraus ergebe sich die Erkenntnis, dass alte Menschen vor allem wertgeschätzt und anerkannt werden wollten. Engelke erläuterte Passagen des Buches „Über das Alter“ von Simone de Beauvoir: Deutschland sei, so die Autorin, ein Land der Nomaden. Denn in der heutigen Zeit, in der Individuen viel auf Reisen seien, ob beruflich oder privat, könnten alte, pflegebedürftige Menschen nicht mitreisen. Diese müssten - wie in den ursprünglichen Nomadenvölkern - zurückgelassen werden.
Im Folgenden ging Dr. Engelke auf den Pflegenotstand ein. Über den Notstand werde seit sechzig Jahren geklagt, dennoch werde heutzutage in Deutschland so gut gepflegt wie nie zuvor. Ungeachtet dessen wollten achtzig Prozent der Menschen zu Hause sterben. Doch der Großteil der Pflege- und Sterbeorte in Deutschland seien Krankenhäuser oder Pflegeheime. Des Weiteren würden die zu Pflegenden zu 85 Prozent von ausländischen Pflegekräften gepflegt. Laut dem Referenten seien die utopischen Erwartungen und Anforderungen an die Pflege oft der Maßstab für die Bewertung der konkreten Pflege. Dabei würden die Grenzen der Pflege schnell ignoriert.
Der Grund für den Pflegenotstand ist laut Engelke nicht die Pflege, sondern vielmehr das Gebrechen und das Leiden speziell älterer, pflegebedürftiger Menschen, mit dem Mitmenschen sich nicht identifizieren wollten. Zu viele Menschen seien nicht bereit, ältere, pflegebedürftige Menschen zu pflegen.
Einen kurzen Ausblick zum Schluss lieferte Dr. Engelke zum Thema Pflegeroboter und Euthanasiehäuser: Die Gefahr, dass in ein paar Jahren in Deutschland Euthanasiehäuser entstünden, sei nicht so gering. Wenn kein Mensch mehr die Pflege von anderen übernehmen möchte, könne dies in Zukunft Alltag werden. Die Menschheit sei eine Gemeinschaft von Pflegebedürftigen. Die Pflege sterbender und sterbenskranker Menschen sei ein menschlich-gesellschaftliches Problem, das Menschen im Verkehr Miteinander und füreinander zu lösen hätten.
(U.a. mit Beiträgen der Studentinnen Katja Schmidt, Jana Schlotter, Regina Klopf und Jana Wendinger)