Auszug der 7. Menschenrechtswoche
Flucht und Migration
Am Donnerstagnachmittag drehten sich alle Vorträge, die im Rahmen der 7. Menschenrechtswoche der FHWS gehalten wurden, um die Themen Flucht und Migration. Bei fünf der sechs Vorträge lenkten die Sprecher*innen die Aufmerksamkeit auf dramatische Menschenrechtsverletzungen im Mittelmeer und an den Grenzen der Europäischen Union, der letzte Vortrag konzentrierte sich dann auf die Handlungsmacht und Organisation von Migrant*innen. Dieser thematisch ausgerichtete Nachmittag wurde von den FAS-Professorinnen Dr. Hannah Reich und Dr. Tanja Kleibl organisiert, die beide als bundesweit ausgewiesene Expertinnen im Bereich Flucht/Migration gelten und international vernetzt sind.
Guiseppe Platania (Mitarbeiter von Borderline Sicilia, Italien) nahm das europäische Asylsystem unter genauerer Betrachtung von Sizilien mit all seinen Widersprüchen und den dahinterliegenden Politiken und Strukturen genauer unter die Lupe. Er zeigte eine graphische Darstellung, eine Karte der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (FRONTEX), die die gängigen Fluchtrouten von Flüchtlingen aufzeigte. Liest man Karte ikonographisch, wird in der Repräsentation der Fluchtbewegungen als roten Pfeile deutlich, dass die eingezeichneten Wege als bedrohliche Invasionswege dargestellt werden und die Komplexität der Fluchtrouten nicht zum Tragen kommt. Zum Vergleich zog er eine andere Karte, die von der Zeitung „Le Monde Diplomatique“ dargestellt wurde, heran, in der die Komplexität ganz anders zum Ausdruck kam: Sie waren detailreicher und entsprachen mehr der Lebenserfahrung der Menschen auf ihren Fluchtrouten.
Zudem zeigte er auf, dass nur wenige Auffangstationen in Städten platziert sind. Die meisten Stationen liegen weit außerhalb von Städten und Ballungsgebieten und sind isoliert – dies erschwert die Integration der Geflüchteten in die Gesellschaft. Zum Abschluss der Präsentation machte er auf die neuen Herausforderungen aufmerksam, die sich durch die Corona-Pandemie ergeben. Diese wirkten sich negativ auf die Ankunft der Flüchtlinge aus. Die angeordnete Quarantäne auf den Booten kreiert inhumane Bedingungen.
Iason Apostolopoulos (Rettungsteam Koordinator der italienischen Organisation „Mediterranean Saving Humans“) gab einen Einblick in das Geschehen aus der Perspektive des Rettungsschiffs „Mare Jonio“, von dem aus er die Präsentation hielt. Der Referent erzählte von seinen Erfahrungen und machte deutlich, dass es in seiner Arbeit immer ein Wettlauf gegen die Zeit sei. Zudem zeigte er Aussagen von Geflüchteten auf, die von ihrem Weg und der Ausbeutung in lybischen Gefängnissen und Internierungslagern, die von Milizen in Lybien eingerichtet wurden und mit brutaler Gewalt überwacht werden. Die Menschen werden dort festgehalten als Geiseln, für die von Verwandten Geld erpresst werden könne. Manchmal folge nach der Ausbeutung ein Verkauf auf dem Sklavenhandel oder eine Überfahrt auf unsicheren Booten. Dies geschehe, nachdem von den Verwandten keine finanziellen Mittel mehr zu erpressen seien und durch diese Freilassung in den Internierungslagern wieder Platz für weitere Menschen auf der Flucht geschaffen werde.
Die Aussage, dass Rettungsschiffe die Flüchtlinge anziehen, sei nicht korrekt: Eine Studie zeigte, dass genauso viele kleine Boote ablegen, auch wenn keine sicheren Rettungsschiffe in der Nähe sind. Zuletzt wies er auf die Schwierigkeiten für Mitarbeitende auf Rettungsschiffen hin: Die zunehmende Kriminalisierung der Aktionen, die rechtlich klar den Auftrag erfüllen, Menschen, die in Seenot sind, zu retten, würde das Arbeiten durch europäische Regierungen und deren Vorschriften schwergemacht werden.
Tamino Böhm (Leiter der Luftüberwachungsmission von Sea Watch) zeigte die für Migrant*innen und Geflüchtete schwer überwindbaren Herausforderungen und die weiten Distanzen der Routen von Geflüchteten im Mittelmeerraum, v.a. zwischen Italien, Malta und nordafrikanischen Ländern, auf. Zudem stellte er die Operation „Mare Nostrum“ kurz vor, die von der EU gestoppt wurde. Diese warf Organisationen wie Sea Watch vor, einen sog. Pull-Faktor dazustellen und Geflüchtete anzuziehen - Böhm widerlegte dies in seinem Vortrag. Daraufhin sei den Mitarbeitenden der „Sea Watch“ bewusst geworden, dass sie Hilfe aus der Luft benötigten. Diese bekamen sie 2016, die Organisation hatte dadurch die Möglichkeit, eine Suche nach Menschen in Not auf dem Meer vorantreiben, Rettungsmissionen besser koordinieren zu können und NGOs optimaler auf dem Laufenden zu halten.
„Sea Watch“ ist nicht die einzige Akteurin im Luftraum: Die EU führt eigene Luftmissionen durch, jedoch seien diese eher dafür gedacht, Missionen der Seenotrettung auf dem Meer einzuschränken. Abschließend zeigte Böhm ein über Video aufgenommenes Beispiel auf, das die inzwischen von mehreren Seiten als illegal eingestuften Interventionen der lybischen Grenzpatrouillen im Mittelmeer darstellt und als Ergebnis Geflüchtete davon abhalte, Asylanträge innerhalb der EU stellen zu können.
Chrisa Giannopoulou (Mitarbeiterin eines Habilitationsprogramms an der Universität von Aegean mit dem Titel „Refugees‘ Right to the city“) nahm in ihrem Vortrag die Herausforderungen von Sozialarbeiter*innen in Bezug auf rechtliche Beratung von Geflüchteten in Flüchtlingscamps auf Lesbos in Griechenland in den Fokus. Zu Beginn zeigte sie die Diskrepanzen zwischen dem, was die EU eigentlich auf gesetzlicher Ebene machen müsste, und dem, was wirklich auf Lesbos passiere, auf. Die Referentin ging auf das Feuer ein, das in Moria, dem größten Flüchtlingscamp Griechenlands, auf Lesbos, ausbrach und als Konsequenz etwa 13.000 Geflüchtete obdachlos machte. Als Reaktion auf den Brand initiierte die EU ein neues Überbrückungsaufnahmezentrum, jedoch erfülle dieses nicht annähernd die minimalen Anforderungen menschengerechter Unterbringung. Grundbedürfnisse und essentielle Menschenrechte würden dort kaum abgedeckt.
Die hinzukommenden, sehr eingeschränkten Möglichkeiten von Geflüchteten, das neue Camp zu verlassen, führen jetzt dazu, dass Sozialarbeiter*innen erschwerten Zugang zu ihren Adressat*innen hätten, selbst das Camp nur mit Sondergenehmigung betreten dürften und somit ihre Arbeit als „Frontliner“ von der neuen Verwaltung des Camps erschwert werde.
Maria Chiara Monti (klinische Psychologin und Gruppenanalytikerin) erzählte in ihrem Vortrag von ihren Erfahrungen in Palermo und gab einen Einblick in die ethno-psychologische bzw. psychiatrische Herangehensweise. Sie unterstrich die Wichtigkeit der Berücksichtigung gesellschaftlicher Normen und Werte in Herkunftsländern von Geflüchteten und wie diese Identitäten formten. Zudem seien die Erfahrungen, die die Menschen auf der Flucht erlebten, von Bedeutung, wenn es um die psychologische Betreuung im Ankunftsland gehe.
Anschließend sprach sie die beispielhaft ethnopsychologische Herangehensweise an: Hierbei handele es sich um eine Verbindung zwischen Psychologie und Anthropologie, die für ein differenziertes Verständnis der mentalen Verfassung der Geflüchteten sorgen könne. Gerade aus dieser Perspektive sei es besonders wichtig, einen sprachlichen und kulturellen Mediator einzusetzen, um somit auch Weltsichten und Theorien aus den Herkunftsländern von Geflüchteten in die Begleitung von Geflüchteten zu integrieren.
Ronaldo Munck (Professor an der Dublin City Universität und Gastprofessor an der FHWS) referierte zum Thema „Migranten, Menschenrechte und Organisation“. Hierbei ging er auf die Beziehung zwischen Menschenrechten und Arbeitsrecht bzw. Arbeitsrecht für Migrant*innen ein. Er zeigte u.a. auf, wie Globalisierungsprozesse, Migration erhöhen und bestimmte Mobilität auch zu informeller sowie sehr prekärer Arbeit und damit verbunden, Ausbeutungsverhältnissen innerhalb des Globalen Nordens, führen könne.
Er erklärte anschaulich, dass das Arbeitsrecht zwar von der UN, ILO und von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch anerkannt werde, diese sich aber nicht um die Arbeitsverhältnisse von Migrant*innen und Geflüchteten sorgten. Munck zeigte während seines Vortrags beispielhaft auf, wie Gewerkschaften mit Migrant*innen umgingen: Oftmals stünden diese für Solidarität, setzten sich für das Arbeitsrecht von Migrant*innen ein und seien ein Vorbild für Europa in Bezug auf die Organisation und den Umgang mit Migrant*innen.
Außerdem nahm er eine historische Perspektive ein, indem er auf die ersten Gewerkschaften, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts von z.B. italienischen Einwanderer*innen in Argentinien oder irischen Einwander*innen in den USA gegründet wurden, aufmerksam machte. Seine Präsentation beendete er mit der Aussage, dass Migrant*innen auch Arbeitskräfte seien und diese das Recht hätten, sich zu organisieren, eigene Entscheidungen zu treffen und von menschenrechtlichen Instrumenten geschützt werden sollten.