Würzburg als Meilenstein auf dem Weg zu einem Forschungsethikkodex für die Soziale Arbeit
Erkennen – Abwägen – Entscheiden. Forschungsethik in der Sozialen Arbeit. Unter diesem Motto lud die Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) zur Fachtagung für Forschungsethik nach Würzburg ein. Diese Tagung ist ein Meilenstein für die Entwicklung eines Forschungsethikkodex für die Soziale Arbeit in Deutschland. Es gibt zwar schon eine Forschungsethikkommission der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit, erste Grundsätze wurden auch bereits in einem Eckpunktepapier niedergelegt, der nächste Schritt allerdings ist die Verabschiedung eines Forschungsethikkodexes. Um den dazu nötigen Diskurs zu führen, wurde die Fachtagung veranstaltet. Es ging darum, ethische Spannungsfelder aus der Forschungspraxis zu identifizieren und über Standards nachzudenken. Die Fachgruppe Ethik unter der Leitung von Theresia Wintergerst und die Sektion Forschung unter der Leitung von Ursula Unterkofler bereiteten unter Mitwirkung des Vorstandes der DGSA und Mitglieder der Forschungsethikkommission die Tagung vor. Auf den Call for paper reagierten Forscherinnen und Forscher aus ganz Deutschland und analysierten die Erfahrungen aus ihren Projekten. Auch internationale Gäste folgten der Einladung. Es geht um das Recht beforscht zu werden und um das Recht, ordnungsgemäß beforscht zu werden, umriss Wintergerst die ethischen Ansprüche der Beforschten.
Die Tagung bot dabei Einblicke in aktuelle Spannungsfelder. Insbesondere der „Sommer der Migration“ im Jahr 2015 hatte verstärkt Forschungen im Feld der Migration zur Folge. Wie allein schon die wissenschaftliche Kategorisierung Stereotypen verstärken kann, wurde dabei ebenso beleuchtet wie Situationen, in denen es in qualitativen Gruppenforschungssettings zu rassistischen Beleidigungen zwischen Beforschten kam, was die Frage aufwarf, wann die Forscherrolle verlassen werden muss.
Wie wirken die Menschenrechtskonventionen auf die Forschungsethik? Auch diese Fragen wurden konkretisiert: Was kann eine informierte Einwilligung im Kontext kognitiver Beeinträchtigung heißen? Stärkt die Kinderrechtskonvention die Rechte von Kindern, im Forschungsprozess selber zu Wort zu kommen? Die Partizipationsorientierung der Sozialen Arbeit warf weitere Fragen auf: welche geeigneten Formen von Partizipation kann es in Forschungsverfahren geben und welche Rahmenbedingungen brauchen diese?
Beim Kamingespräch am Abend verwies Prof. Dr. Hella von Unger (LMU München) auf die Unvorhersehbarkeit von Forschungsprozessen, die auch Kommissionen nicht immer absehen könnten. Prof. Dr. Kim Strom-Gottfried gab Einblicke in die Praxis der Forschungsethikkommissionen in den Vereinigten Staaten. Strom-Gottfried kritisierte, dass Ethikkommissionen in den USA zunehmend die rechtliche Absicherung der Institutionen im Blick hätten, anstatt tatsächlich den Prozess einer informierten Einwilligung zu stärken. Dabei ginge es eigentlich doch weniger darum, Unterschriften unter lange und komplizierte Dokumente zu sammeln, die von den Beforschten kaum überblickt werden könnten, als auf einen ethisch feinfühligen Prozess der Achtung der Rechte der Forschungsteilnehmenden.
Weitere forschungsethische Fragen, die nicht in den Panels vertieft wurden, entfalteten die Teilnehmenden in einem Worldcafé. In jedem Panel analysierten Beobachtungspersonen den Prozess und werteten ihn zum Abschluss hinsichtlich der Anregungen für einen zukünftigen Forschungsethikkodex für die Soziale Arbeit aus. Die Tagung ermöglichte eine differenzierte Auseinandersetzung mit Forschungsethik in der Sozialen Arbeit. Der Konsens war groß: Die Stärkung der Forschung in der Sozialen Arbeit braucht eine Forschungsethik, die nicht nur die rechtliche Absicherung der Institutionen im Blick haben soll, sondern den ethischen Ansprüchen aller Forschungsbeteiligten gerecht werden soll. Der große Zuspruch zur Tagung zeigte die Bedeutung des Forums.