Titelbild mit Studierenden der Fachhochschule für Angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt

Prof. Dr. Tanja Mühling

Forschungsprojekt: „Fragmentierung von Elternschaft“

Inhalte:
Ihre „bio-soziale Doppelnatur“ (Nave-Herz 2004) ist ein Merkmal, das die Familie von anderen Sozialgebilden und Erziehungsinstitutionen unterscheidet. Bei der Mehrheit der Familien sind die biologischen, rechtlichen und sozialen Eltern auch heute noch identisch. Ein Kennzeichen des familialen Wandels ist jedoch die steigende Zahl von Kindern, die bei bzw. mit Eltern aufwachsen, die mit ihnen nicht blutsverwandt sind. In der Forschung wird in diesem Kontext eine „Erosion der bio-sozialen Einheit der Familie“ (Peuckert 2012), eine steigende Verbreitung „fragmentierter Elternschaft“ (Hoffmann-Riem 1988) oder auch eine „Segmentierung der Elternrolle“ (Vaskovics 2009) konstatiert. Damit geht einher, dass es eine Zunahme „elternreicher Kinder“ gibt.

Eine vollständige oder teilweise „Entkoppelung von biologischer und sozialer Elternschaft“ (Peuckert 2012) findet sich insbesondere in Stief- bzw. Patchworkfamilien, Adoptivfamilien, Pflegefamilien, Regenbogenfamilien und Familien, die durch Gametenspende entstanden sind. Im Vergleich mit Familien, in denen die Kinder in einer Haushaltsgemeinschaft mit ihren beiden leiblichen Eltern aufwachsen, stellen sich hier spezifische Herausforderungen für das subjektive Familienverständnis wie zum Beispiel die Fragen, wer zur Familie gehört, welche Rolle soziale Eltern im Familienalltag einnehmen und welche Rolle der/die Gametenspen-der(in) in bestimmten Familienkonstellationen (wie z.B. in Regenbogenfamilien) einnimmt. Auch wie mit der „Andersartigkeit“ nach außen umgegangen wird, ist in verschiedenen Situa-tionen zu bestimmen. Nicht zuletzt müssen die Eltern in einigen Familienkonstellationen ent-scheiden, ob und wann das Kind über die nicht bzw. nur teilweise vorhandene biologische Verwandtschaft zu seinen Eltern und über die Entstehungsgeschichte der Familie informiert wird. Aufgrund ihrer Komplexität haben Familien mit fragmentierter Elternschaft tendenziell einen höheren Bedarf an Beratungs- und Unterstützungsangeboten als andere Familien. Die Soziale Arbeit trifft daher in ihrer Praxis zunehmend auf Kinder und Eltern, bei denen die die Familienverhältnisse von Fragmentierung geprägt sind.

Unter einem gemeinsamen Forschungsdach zu Familien mit fragmentierter Elternschaft wird das Projektteam die vorliegenden Befunde zu verschiedenen Familienformen aus eigenen Studien, aus der Literatur sowie anhand von Sekundäranalysen systematisch vergleichen. Inhaltlich sind dabei alle Aspekte relevant, die die Entstehung, Verbreitung und Besonderheiten von Familien darstellen, in denen die sozialen Eltern nicht (alle) gleichzeitig auch die biologischen und rechtlichen Väter und Mütter der Kinder sind. Die entsprechenden Ergebnisse sollen in einem Sammelband veröffentlicht und im Rahmen eines Fachtags vorgestellt und diskutiert werden.

Im ersten Teil des Buches findet die inhaltliche Einführung in das Thema fragmentierte Elternschaft statt. Dabei geht es um die Fragen, wie fragmentierte Elternschaft definiert wird, welche Entstehungs- und Begründungszusammenhänge es gibt, welche Familienformen von einer Fragmentierung betroffen sind und wie die rechtliche Situation dieser Familien aussieht. Es ist davon auszugehen, dass diese Familien aufgrund des Fehlens der genetischen Abstammung einzelner Familienmitglieder in besonderer Weise ein sinnstiftendes Selbstkonzept als Familie herstellen (müssen); hier kommt dem Doing-Family Ansatz (Schier/Jurczyk, 2007; Schier et al. 2008; Jurczyk et al. 2009, 2014) besondere Bedeutung zu.

Im zweiten Teil des Buches werden die verschiedenen fragmentierten Familienformen ausführlich vorgestellt. Konkret sind Unterkapitel zu Stieffamilien (H. Rost), Adoptivfamilien (T. Mühling), Pflegefamilien, gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern (P. Bergold und A. Busch-ner) sowie zu Familien, die durch Gametenspende entstanden sind (B. Mayer-Lewis), vorgesehen. In diesen Beiträgen werden jeweils die Entstehung der Familienform, ihre quantitative Verbreitung, das „Doing Family“ in der entsprechenden Familienform, Familienphasen und Besonderheiten in der Familiendynamik sowie besondere Herausforderungen der spezifischen Familienform unter Berücksichtigung der Perspektive der Kinder behandelt.

Im dritten Teil des Buches wird der Blick auf fragmentierte Elternschaft erweitert, in dem dieses Thema aus einer multidisziplinären Perspektive beleuchtet wird. Dabei ist vorgesehen, ExpertInnen verschiedener Fachrichtungen (Jura, Psychologie, Ethik, etc.) um einen Beitrag zu bitten.

Das Buch endet mit einer Schlussbetrachtung und einem Ausblick. Hier soll v.a. der Erkennt-nisgewinn, der sich aus der wissenschaftlichen Betrachtung der verschiedenen Formen und Facetten fragmentierter Elternschaft für die Soziale Arbeit sowie für die Familienforschung ergibt, zusammengefasst und dokumentiert werden.

Im Zuge der Buchpublikation soll 2017 zudem ein Fachtag zu fragmentierter Elternschaft stattfinden.

 

Partner:
Dipl.-Psych. Pia Bergold (ifb, Projektleitung), Prof. Dr. Tanja Mühling (THWS), Dr. Andrea Buschner (ifb), Dr. Birgit Mayer-Lewis (ifb), Dipl.-Soz. Harald Rost (ifb) und Dr. Marina Rupp (ifb)

Laufzeit:
Projektlaufzeit: 2015-2017

Förderer:
Finanzielle Förderung durch das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration (StMAS)